Ultraleichte Seitenträgerbrücke setzt neue Maßstäbe in der Schwergutlogistik
Mit der Entwicklung der STB 320 haben TII Scheuerle und die Spedition Kübler ein technisches System geschaffen, das nicht nur aktuellen Anforderungen im Trafotransport gerecht wird, sondern auch zukunftsweisende Maßstäbe setzen soll. Durch die gezielte Reduktion des Eigengewichts bei gleichzeitiger Erhöhung der betrieblichen Effizienz und Sicherheit stellt die neue Seitenträgerbrücke einen bedeutsamen Fortschritt für die Schwergutlogistik dar – und damit ein wichtiges Werkzeug zur Realisierung der Energiewende.
Bedeutung von Schwertransporten für die Energiewende
Mit dem Ausbau erneuerbarer Energien, dem Rückbau konventioneller Kraftwerke und der zunehmenden Elektrifizierung zahlreicher Wirtschaftssektoren steigen die Anforderungen an die Energieinfrastruktur erheblich. Transformatoren, als zentrale Bestandteile von Umspannwerken und Netzknoten, müssen in zunehmender Zahl und über weite Strecken transportiert werden – häufig vom Hersteller zu schwer zugänglichen Baustellen oder Bestandsanlagen.
Herausforderungen durch marode Infrastruktur
Dabei handelt es sich um Komponenten mit hohen Stückgewichten von mehreren hundert Tonnen. Diese Massen stellen die Schwergutlogistik vor erhebliche Herausforderungen, zumal das deutsche Straßennetz, insbesondere im Hinblick auf Brückenbauwerke, vielerorts nicht auf derartige Belastungen ausgelegt ist.
Achslasten oberhalb der gesetzlich zulässigen Grenzen von zwölf Tonnen erfordern aufwändige Genehmigungsverfahren, oft verbunden mit Nachrechnungen bestehender Brückenkonstruktionen sowie Umleitungen oder Streckensperrungen. Dies verursacht zusätzliche Kosten, verlängert die Transportdauer erheblich und kann die gesamte Projektlogistik verzögern.
Entwicklungsschwerpunkt: Achslastreduktion bei hoher Nutzlast
Vor diesem Hintergrund haben die Spedition Kübler aus Michelfeld-Erlin und der Spezialfahrzeughersteller TII Scheuerle, ein Unternehmen der TII Group, gemeinsam eine neue Seitenträgerbrücke entwickelt. Ziel der Zusammenarbeit war es, eine Brückenkonstruktion zu realisieren, die es ermöglicht, selbst schwerste Transformatoren unterhalb der kritischen Achslastgrenze zu transportieren – ohne dabei Abstriche bei der Nutzlast oder der betrieblichen Flexibilität hinnehmen zu müssen.
Die Entwicklung der STB 320 ist das Ergebnis eines intensiven Austauschs zwischen den praktischen Anforderungen der Spedition Kübler und der konstruktiven Innovationskraft von TII Scheuerle. Während Kübler seine umfangreiche Erfahrung aus zahlreichen Spezialtransporten eingebracht hat, nutzten die Ingenieurinnen und Ingenieure bei Scheuerle moderne Fertigungstechnologien sowie neue Werkstoffe, um die Konstruktion signifikant zu erleichtern.
Technisches Konzept der STB 320: Optimierung durch Spezialisierung
Die STB 320 unterscheidet sich grundlegend von herkömmlichen Seitenträgerbrücken, die meist als universell einsetzbare Systeme konzipiert sind. Diese Vielseitigkeit geht typischerweise mit einem hohen Eigengewicht einher – ein entscheidender Nachteil, wenn es um die Einhaltung niedriger Achslasten geht. Die neue Brücke hingegen ist gezielt auf den Transport von Transformatoren zugeschnitten. Durch die Spezialisierung auf ein definiertes Einsatzprofil konnte das Gewicht der Brücke um etwa 50 Tonnen gegenüber konventionellen Lösungen reduziert werden.
Kern der Innovation ist ein konsequenter Leichtbauansatz, der sich durch sämtliche Komponenten der Brücke zieht. TII Scheuerle setzte unter anderem neu entwickelte Leichtbaustähle und hochfeste Materialien ein, die trotz geringer Masse eine hohe strukturelle Stabilität gewährleisten. Hinzu kommt ein integrierter Lastverteilerrahmen im Zentralfahrwerk – dadurch entfällt der bisher notwendige Einsatz schwerer Zusatzrahmen. Auch die Drehverbindung wurde neu konstruiert und zeichnet sich durch eine besonders kompakte Bauweise aus, die das Gewicht weiter reduziert.
Flexible Achskonfigurationen und modulare Bauweise
Trotz der Spezialisierung auf den Trafotransport bleibt die STB 320 in ihrer Konfiguration flexibel. Die modulare Achslinienanordnung ermöglicht Kombinationen von 9+9 bis zu 22+22 Achsen. Ab einer Konfiguration von 18+18 wird das Transportgut direkt über den Achslinien positioniert, was zusätzliche Vorteile im Hinblick auf Stabilität und Gewichtsverteilung mit sich bringt.
Besonders hervorzuheben ist die Möglichkeit, Transformatoren mit einer Stützlänge von bis zu 12,5 Metern direkt in die Brücke einzuhängen. Diese Option reduziert die Notwendigkeit zusätzlicher Trägerstrukturen und ermöglicht eine kompaktere Transportkonfiguration. In der Standardausführung entspricht dies einer Kombinationsgröße von 15+15 Achsen. Sollten noch niedrigere Achslasten erforderlich sein – etwa bei besonders sensibler Infrastruktur oder begrenzten Brückentragfähigkeiten – kann die Kombination durch zusätzliche Achslinien erweitert werden.
Verbesserte Sicherheit und optimierte Bedienung
Neben den rein konstruktiven Vorteilen adressiert die STB 320 auch Anforderungen an Sicherheit, Ergonomie und Systemintegration. So wurde ein neues Dämpfungssystem für die seitliche Abstützung des Hubhebels entwickelt, das Schwingungen während der Fahrt reduziert und die Transportstabilität erhöht. Ebenso kommt ein elektronisches Bremssystem (EBS) zum Einsatz, das präzisere Bremsvorgänge ermöglicht und die Betriebssicherheit weiter erhöht.
Die erhöhte Spurbreite der Fahrwerksmodule trägt zusätzlich zur Standfestigkeit bei – ein entscheidender Faktor, insbesondere bei Einsätzen auf unebenem Untergrund oder unter schwierigen Wetterbedingungen. Für den Anwender resultieren daraus Vorteile sowohl im Handling als auch im Hinblick auf die Arbeitssicherheit.
„Diese Maßnahmen führen zu einem optimalen Arbeitsgerät, das TII Scheuerle exakt auf unsere Ansprüche zugeschnitten hat“, betont Felix Mangold, Technischer Leiter der Spedition Kübler. Seine Aussage unterstreicht die enge Zusammenarbeit beider Unternehmen und die praxisnahe Ausrichtung der technischen Lösungen.
Branchenresonanz und erste Anwendungen
Dass die neue Brückenkonstruktion nicht nur ein technisches Innovationsprojekt, sondern eine strategische Antwort auf reale Anforderungen darstellt, zeigt die Resonanz aus der Energiebranche. Der Übertragungsnetzbetreiber TransnetBW begleitet den Einsatz der neuen Seitenträgerbrücke im Rahmen einer Studie. Ziel ist es, die Auswirkungen der verbesserten Transportbedingungen auf Netzbauprojekte systematisch zu analysieren. Bereits vor Abschluss der Studie hat sich das Unternehmen ein bevorzugtes Nutzungsrecht an der STB 320 gesichert – ein klares Indiz für den akuten Bedarf an derartigen Lösungen.
Offizielle Vorstellung und Fachdialog
Die Premiere der STB 320 fand Ende März auf dem Betriebsgelände der Spedition Kübler statt. Im Rahmen eines Fachworkshops demonstrierten Expertinnen und Experten beider Unternehmen die neue Brücke vor einem ausgewählten Fachpublikum. Unter den Anwesenden waren unter anderem Heinz Rößler, Geschäftsführer der Spedition Kübler, sowie Susanne Rettenmaier, Gesellschafterin der TII Group. Die Veranstaltung diente nicht nur der technischen Präsentation, sondern auch dem Austausch über aktuelle Herausforderungen in der Schwergutlogistik.
Thematisiert wurden unter anderem die zunehmende Komplexität von Genehmigungsverfahren, die Auswirkungen des Infrastrukturzustands auf den Transportsektor sowie die Rolle spezialisierter Logistiklösungen für die erfolgreiche Umsetzung der Energiewende. Die STB 320 wurde dabei als ein Beispiel für praxisorientierte Innovationsarbeit vorgestellt, die einen konkreten Beitrag zur Reduzierung regulatorischer Hürden leistet.
Unternehmensprofil: TII Group
Die TII Group mit Sitz in Heilbronn ist ein weltweit tätiger Hersteller von Schwerlast- und Spezialfahrzeugen. Zur Gruppe gehören die Marken TII Scheuerle und TII Kamag mit Standorten in Deutschland und Indien sowie einem globalen Vertriebs- und Servicenetzwerk. Die Fahrzeuge der TII Group werden in Branchen wie Transport und Logistik, Bauwesen, Anlagenbau, Luft- und Raumfahrt, Energie, Stahl und Bergbau eingesetzt. Die Unternehmensgruppe ist im Index der Weltmarktführer gelistet und hält den Weltrekord für den fahrzeuggebundenen Transport mit über 23.000 Tonnen Last.
