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Die Junkers JU 52 war einst das Rückgrat der europäischen Airlines. Hier eines der wenigen flugfähigen Exemplare im damals üblichen Lufthansa-Outfit

Umzug einer alten Tante

Weil er nicht mehr flugfähig war, musste der Flugzeug-Klassiker Junkers JU 52 in Teilen von Mönchengladbach nach Essen-Mühlheim transportiert werden

Mönchengladbach, ganz im Westen der Republik, ist vor allem Fußballfans als Heimatstadt eines der ältesten Clubs der Bundesliga vertraut. Dass hier auch die Entstehung eines anderen, nahezu ebenso geläufigen Kulturgutes ihren Anfang nahm, wissen allerdings weitaus weniger Menschen. Prominentester Sohn der Stadt ist nämlich kein geringerer als Hugo Junkers, einer der erfolgreichsten Unternehmer der Weimarer Republik. Junkers ist sowohl Erfinder der weit verbreiteten Geräte zur Warmwassererzeugung als auch Konstrukteur von Deutschlands wohl bekanntestem Flugzeug: der JU 52 – oft auch nur „Tante Ju“ genannt. Aus diesem Grund findet sich am Mönchengladbacher Regional-Flughafen auch der Hugo-Junkers-Hangar.

Fluggastsitze der Junkers Ju 52
Obermann-Mitarbeiter Andre Schmieder mit vieren der äußerst einfach gehaltenen Fluggastsitze

Genutzt für zahlreiche Veranstaltungen ist er jedoch in erster Linie Garage für eines der wenigen, immer noch flugfähigen Exemplare des einst europaweit zu Hunderten im Flugverkehr eingesetzten dreimotorigen Fliegers. Wie dieser ist er in der ebenfalls von Junkers für Leichtbauhallen ersonnenen Wellblechbauweise erstellt. 

Ein altes Flugzeug macht sich auf die Reise

Unweit von diesem bestens gepflegten, regelmäßig für Rundflüge genutzten Lizenznachbau der Junkers JU 52 aus Spanien stand auf dem Gelände allerdings noch ein weiteres, ein wenig heruntergekommenes Exemplar des Wellblech-Fliegers. Diesen nicht mehr flugtauglichen Vertreter wollte die mit den Mönchengladbachern befreundete WDL Luftschiffgesellschaft an ihren Stammsitz holen, den Flughafen Essen-Mühlheim. Zum Glück musste WDL-Geschäftsführer Frank Peylo nicht lange nach einem geeigneten Dienstleister zum Transport der betagten Dame suchen. Gewissermaßen unmittelbar vor der eigenen Haustür bot sich dafür das in Mühlheim ansässige Unternehmen Auto-Obermann an. Zu dessen zentralen Geschäftsfeldern zählen neben Baumaschinen- und Schwertransporten auch der Fahrzeugbau, ein Pkw- und Lkw-Abschleppservice sowie eine vertragsfreie Werkstatt für Lkw-Reparaturen.

Einder der Zweiblattpropeller der Junkers Ju 52
Zwei Helfer der „WDL-Oldtimer-Freunde“ tragen einen der originalen Zweiblattpropeller zum bereitstehenden Truck

Nachdem Dispositionsleiter Dennis Kreutzer die um­­fangreichen Details der aller Voraussicht nach letzten Reise des Oldies geklärt hatte und dieser von Spezialisten transportgerecht demontiert war, trat das Projekt am 23. April dieses Jahres in die heiße Phase ein. Gemeinsam mit einer stattlichen Zahl ehrenamtlicher Helfer des Vereins „WDL-Oldtimer Freunde“ rückte das Obermann-Team am frühen Nachmittag in Halle 1 auf dem Flugplatz in Mönchengladbach an. 

Viele helfende Hände gefragt

Zunächst wollte man alle für einen geschlossenen Transport in einem konventionellen Trailer geeigneten Teile verladen. Den Anfang machten dabei das raumgreifende Leitwerk und die Anstell-Klappen der Tragflächen. Unmittelbar darauf folgten zahlreiche Teile wie Propeller und Fahrwerkskomponenten, Pilotensitze und Motorverkleidungen. Überwiegend aus Aluminium gefertigt und daher vergleichsweise leicht, waren für ihre Verladung in erster Linie möglichst viele helfende Hände gefragt. Lediglich bei den Neun-Zylinder-Sternmotoren – bereits ohne ihre Aluminium-Aufhängung schon deutlich über 500 Kilogramm schwer – kam ein Gabelstapler zum Einsatz. Eine Stunde später konnte der Planenauflieger mit den „Kleinteilen“ in Richtung Essen-Mühlheim vom Platz rollen.

Der bei Obermann umgebaute Renault Premium mit Fassi F455 XP

Kurz vor 17:00 Uhr rangiert dann Fahrer Andre Schmieder den ersten Tieflader in die Halle. Dicht gefolgt von dem Fahrzeug aus der Obermann-Flotte, dem heute eine Schlüsselrolle zukommt: Ein gelb lackierter Renault Premium, den es mit diesem bei Obermann selbst gebauten Aufbau nur ein einziges Mal gibt. Ausgestattet mit einer stattlichen Winde und einem schweren Hubgeschirr übernimmt der Vierachser bei Obermann normalerweise den Abschleppservice für liegengebliebene oder verunfallte Lkw. Deswegen verfügt er wegen der im letzteren Fall zumeist nötigen Bergungsarbeiten auch über einen leistungsfähigen Ladekran. 

Schlüsselrolle für ein Spezialfahrzeug

Arbeit unterhalb der Gurte des Hallendachs mit negativem Anstellwinkel zwischen Hub- und Knickarm. Größte Herausforderung beim Umheben der Tragflächen ist die Durchführung des Hubgeschirrs durch eine Öffnung

Und das ist, weil man bei Obermann bei diesem Thema schon lange auf die Produkte der Marke Fassi vertraut, hier eben ein F455 XP, der auf dem Endlos-Drehkranz unmittelbar hinter dem Fahrerhaus thront. „Die Ferrari-roten Krane der Italiener bewähren sich bei uns seit Jahren“, erklärt Junior-Chef Nick Obermann, der an diesem Tag nicht nur den schweren Vierachser steuert, sondern kurz darauf auch den Kran befehligen wird. „Wir schätzen die Fassi-Krane nicht nur wegen ihrer enormen Hubkraft, sondern auch wegen ihrer Vielseitigkeit.“ 

Umheben der Tragflächen der Junkers Ju 52

Genau die wird nun auch bei der bevorstehenden Operation gefragt sein. Der 455er muss in der relativ ­­­niedrigen Halle nämlich unterhalb der Gurte des Hallendachs mit negativem Anstellwinkel zwischen Hub- und Knickarm arbeiten. Dank F7-Fernsteuerung kann Obermann dabei allerdings seinen Standort frei wählen, um alles bestens im Blick zu behalten. Seine Maximalreichweite von rund 21 Metern muss der Fassi-Kran heute unterdessen nicht ausreizen. Dennoch gilt es beim Umheben der Tragflächen auf den Tieflader eine ganz spezielle Herausforderung zu meistern: Der Tragegurt des Krans muss dazu nämlich durch einige dafür vorgesehene Öffnungen in der Wellblechbeplankung des innen hohlen Bauteils geführt werden. Das lässt sich nur bewerkstelligen, in dem jemand ein Stück weit ins Innere des Flügels hinein kriecht, um den Gurt an anderer Stelle wieder nach außen zu führen. Nachdem das erledigt ist, ist jede der beiden Tragflächen im Nu von ihren provisorischen Unterlagen auf jeweils einen Tieflader gehoben. 

Kurz vor Dämmerung wird der Rumpf der JU 52 auf einen Tieflader gehoben

Das größte Teil der Junkers Ju 52, der Rumpf, lässt sich unterdessen nicht in der Halle verladen. Zum Glück ist dieser auf jeder Seiten am Montageflansch der Tragflächen mit einem Behelfsfahrgestell versehen worden, sodass er sich unter Einbeziehung des regulären Heckrades per Muskelkraft problemlos vor die Halle schieben lässt. Kurz vor Sonnenuntergang wird er dort ebenfalls von dem Fassi-F455-Ladekran an den Haken genommen. Was folgt, ist Routine. Eine halbe Stunde später ist auch dieser Sattelzug abfahr­bereit. 

Nachts im Konvoi durchs Ruhrgebiet

Um elf Uhr nachts erreicht der Konvoi schließlich den Flughafen Essen-Mühlheim. „Vom Transportvolumen an sich war dieser Auftrag für uns letztlich nichts Besonderes“, erklärt Obermann-Dispositionsleiter Kreutzer, der den Transport gemeinsam mit seinem Chef Dirk Obermann organisiert hat. „Bei einem Leergewicht der gesamten Maschine von 5,72 Tonnen dürften wir auf den drei Tiefladern zusammen nicht einmal vier Tonnen nach Mühlheim kutschiert haben. Gemessen an den sonst üblichen Massen waren das fast Leerfahrten. Dabei war der Tieflader mit dem rund 14 Meter langen Flugzeugrumpf eher das kleinere Problem. Die Herausforderung bestand vor allem im Transport der 3,80 Meter breiten Flügel. Transporte mit dieser Überbreite sind nur nachts zulässig und erfordern eine Begleitung durch die Polizei oder durch speziell ausgestattete Begleitfahrzeuge. Zudem musste auf einem Teilstück der Strecke die Gegenspur vorübergehend gesperrt werden.“

Neue Heimat für eine betagte Dame

Einfahrt des JU-52-Rumpfes in die WDL-Luftschiffhalle am Flugplatz Essen-Mühlheim zu später Stunde

Der Weg endet an diesem Tag in der WDL-Luft­schiffhalle, in der sonst das hier beheimatete Luftschiff abgestellt ist. Der Hangar soll einstweilen als provisorische Werkstatt dienen, um den alten Flieger wieder zusammenzusetzen. Weil Motoren und sämtliche anderen Teile bereits angekommen sind, gilt es jetzt zur fortgeschrittenen Stunde ausschließlich, die Tragflächen und den Rumpf abzuladen. Der muss zunächst wieder mit dem für den Straßentransport abgebauten Behelfsfahrgestell versehen sowie zusätzlich zur späteren Montage von Landegestell und Tragflächen auf die korrekte Höhe gebracht werden. Dazu dienen zwei aus mehreren Lagen Paletten aufgeschichtete Podeste. Eine Stunde später können alle Beteiligten bereits Aufstellung nehmen zu einem Corona-konform weit auseinandergezogenen Gruppenfoto.

Resümee im Namen des Teams

In der WDL-Luftschiffhalle hat der 455er genug Platz nach oben. Das sonst hier abgestellte Luftschiff ist hell erleuchtet

„Natürlich war dieser Auftrag für uns etwas ganz Besonderes“ resümiert Kreutzer. „Praktisch jeder aus dem Obermann-Team, von dem ich neben Nick Obermann vor allem unsere Fahrer Andre Schmieder und Thomas Staats wegen ihres unermüdlichen Einsatzes hervorheben möchte, wusste genau, was es mit der Buchstaben-Zahlen-Kombination J-U-5-2 auf sich hat. “Doch jemals live gesehen hatten den Flieger nur die wenigsten, geschweige denn in Einzelteilen!“